Viele Schlangenbisse auf dem OP-Tisch

"Ich muss im Training bleiben", sagt Helge Wenzl, früher Chefarzt der Chirurgie im Paracelsus-Krankenhaus Ruit. Deshalb geht Wenzl einmal im Jahr für die German Rotary Volunteer Doctors zum Auslandseinsatz. Kürzlich war er drei Wochen in Nepal, wo der Oldie mit jungen Ärzten operierte.

Der Himalaja-Staat macht vorwiegend Schlagzeilen wegen des Bürgerkriegs. Von der nächtlichen Ausgangssperre abgesehen, hat Professor Wenzl wenig zu spüren bekommen. Während seines Aufenthalts habe er keine Schussverletzungen gesehen. Drei Tage nach seiner Abfahrt wurde aber die Zufahrt zur Hauptstadt Kathmandu gesperrt. Die Maoisten, so bestätigt Wenzl die Agenturnachrichten, kontrollieren 80 Prozent des Landes. Nur im Kathmandu-Tal ist die konstitutionelle Monarchie noch Herr der Lage. Die Maoisten, erzählt Wenzl, hätten zugesagt, das Austauschprogramm der Ärzte nicht zu stören.


"Der OP ist tadellos eingerichtet", war Wenzl, der bis vor zwei Jahren Chef-Chirurg in Ruit war, von der Klinik in Dhulikhel positiv überrascht. Sie sei sehr sauber, im Gegensatz zu mancher Klinik in Kathmandu. Zu verdanken sei dies Chefarzt Ram Shrestha, der in Wien Medizin studierte und eine Österreicherin geheiratet hat, aber für den immer klar gewesen sei: "Ich muss Nepal dienen". Vor zehn Jahren habe er in seiner Heimatstadt ein Hospital mit 30 Betten eröffnet. Inzwischen verfügt es über 160 Betten und 45 Ärzte. Es gebe genügend Personal, berichtet Wenzl. Dank des englischen Ausbildungssystems seien sie in der Theorie besser als mancher deutsche Jungarzt, aber in der Praxis hapere es. Er habe im Dhulikhel Hospital häufig voroperiert und dann die jungen Kollegen unterstützt. Zudem habe er Vorlesungen gehalten.


Als Oldie, der vor 40 Jahren auch mit einfachen Mitteln zurecht kommen musste, habe er die modernste Medizintechnik nicht vermisst. Leistenbrüche, Blinddarm, Gallensteine, Knochenbrüche - die Krankheitsbilder in Nepal seien wenig anders als in Deutschland. Einziger Unterschied seien die vielen Schlangenbisse in Hände und Arme, die die nepalesischen Bauern bei der Ernte erleiden. Weil man meist nicht wisse, welche Schlange gebissen habe, nütze Serum wenig.


Nicht jeder Patient in diesem "entsetzlich armen Land" könne die Behandlung zahlen, erzählt Wenzl. Und sein Kollege Shrestha klagt in der letzten E-Mail, dass der Spendenfond für Behandlungskosten immer stärker in Anspruch genommen werde. Einer seiner Patienten, so Wenzl, sei unerwartet nach drei Tagen verschwunden - ohne zu bezahlen. "Da war ich schuld, weil ich so gut operiert habe", lacht Wenzl.


Aus Nepal sei er glücklicher heim gekehrt als nach seinem ersten Einsatz in Ghana, sagt Wenzl. Er habe nicht den Eindruck gehabt, nur einen Tropfen auf den heißen Stein beizutragen, sondern tatsächlich geholfen zu haben. Zudem seien die Menschen in Nepal dankbarer. Ghana und Nepal sind die beiden Länder, die der deutschen Sektion der etwa 200 Rotarier-Ärzte zugeteilt sind. 85 von ihnen, meist Pensionäre, waren dieses Jahr im Entwicklungsdienst.


Wenzl hat aus Nepal eine Hausaufgabe mitbekommen: Er soll in Deutschland Ausbildungsstellen organisieren. Chefarzt Shrestha will in den nächsten zehn Jahren 30 Fachärzte in Europa ausbilden lassen. Chirurg Wenzl wird nun Fäden zu seinen Rotarier-Kollegen knüpfen.


© Eßlinger Zeitung 2004 -



Autor: Roland Kurz
Rotary International | Distrikt 1830
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